STANDBY (ME)
ZUM STÜCK
// Uraufführung: 4. Mai 2002, Alter Malersaal, (Gelände Beuel)
// Eine Produktion des Theaters der Bundesstadt Bonn
In ihrer Arbeit für das Ensemble des Choreographischen Theaters entwirft Rafaële Giovanola nur aus der Improvisationsarbeit mit den Tänzern heraus ein traumhaftes Szenario, das seltsam vertraut, absurd und fremd zugleich erscheint. Entstanden ist ein poetischer Raum, der den zweiten Kreis von Dantes "Inferno" assoziieren lässt: "Und wie die Kraniche die Luft in langen Reyhen durchziehen, und ihren Gesang winseln - eben so sahe ich die Schatten in der ungestümen Luft, mit kläglichem Geschrey, daher gezogen kommen." Doch während bei Dante von den Sündern "ein Knirschen und Klappern der Zähne, ein jämmerliches Weinen und Wehklagen" zu hören ist, bleiben die Figuren, die die luftigen Höhen unter dem Dach des Alten Malersaals bevölkern, klaglos und stumm, erweisen sich - trotz aller märchenhaften Umgebung - als nomadische Monaden und absolutistische Mängelwesen.
"Stand by (me)" ist ein Bericht "Aus dem Leben der Marionetten", eine Versuchsanordnung, in der die Beziehungen wie in durchsichtigen Reagenzgläsern aufgereiht sind, in denen unterschiedliche Stoffe, Mischungen und Konstellationen trotzdem in derselben Weise reagieren. Selbst der leidenschaftlichste Kampf der beiden Liebenden um ihre Nähe und gegen die Fliehkräfte, bestätigt nur die Erzählung von Warten und Einsamkeit, Vergeblichkeit und Verfehlen. Den anderen, die sich in diesem Kampf ergeben haben, ist ihr Leben "nichts als eine Kette von Augenblicken, die man verbrachte wie im Schlaf … als existierten sie nicht, und man selbst auch nicht in ihnen" (Undine Gruenter). Die traumhaften Bilder des Fliegens und Schwebens unterstreichen nur, dass sich in dieser lebensnahen Vorhölle, außer den Seilen und Körpern, überhaupt nichts bewegt.
VON UND MIT
Tanz: Monica Kodato, Irineu Marcovecchio, Marcelo de Melo, Marcelo Omine, Bärbel Stenzenberger/Rafaële Giovanola /// Choreographie in Zusammenarbeit mit den Tänzern und Regie: Rafaële Giovanola /// Bühnenbild: Frank Chamier Kostüme: Sabine Schnetz /// Musik: Marco Zeiser Celesti /// Choreographische Beratung und Inspizienz: Antoinette Laurent /// Dramaturgie: Rainald Endraß
"Nur eine halbe Stunde lässt Rafaële Giovanola ihr Ensemble für STAND BY (MY) in den Seilen hängen - mehr wäre selbst den durchtrainierten Tänzern nicht zuzumuten. Aber diese dreißig Minuten reichen für eine zauberhaft poetische Auseinandersetzung mit Liebe und Gleichgültigkeit aus, Anziehung und Abstoßung. Zwei Paare und ein Einzelgänger sind in unterschiedlichen Höhen und abständen aufgehängt - schwerelos, aber doch gefesselt. Zunächst kreisen sie nur um sich selbst, dann versuchen sie immer wieder, zueinander zu kommen oder voreinander zu fliehen, kopfüber, in der Horizontalen, pendelnd oder am Seil emporkletternd. Das Programmheft erklärt STAND BY (MY) mit Auszügen aus dem fünften Gesang von Dantes "Inferno", und tatsächlich erinnern die erfolgreichen und vergeblichen Annäherungsversuche der Liebenden an das sturmgepeitschte Schicksal von Paolo und Francesca. Giovanola trickst die Schicksalsfäden aus, mal mit langsamen schwerelosen Bewegungen, wie unter Wasser, dann mit geradezu akrobatischen Verrenkungen. Das Publikum bekommt zwar kein Happy End, freut sich aber über eine Choreographie voller unwirklicher Eleganz und Ausdruckskraft"(Gunhild Lohmann, General-Anzeiger, Bonn, 6.05.2002)
"Gefangene ihrer Sehnsüchte" sind Rafaële Giovanolas Wesen. An ihren Seilen tanzend, können sie nicht voneinander weg, aber auch nur schwer zueinander hin. Dieser technische Einfall ist gut, er hat was mit den Freiheitsgraden des Menschen zu tun, geschieht wie eine Einübung in die Schwerelosigkeit, aber sie können weder der Schwere noch ihren Anbindungen entkommen. Erwähnt werden sollten noch Marco Zeiser Celestis feine Musikeinrichtung. Und der üppige Beifall." (Heinz-Dieter Terschüren, Bonner Rundschau, 6.05.2002)
"STAND BY (MY), das zweite Stück des Abends, ist hinsichtlich der Bewegungsqualität schon gewagter. Rafaële Giovanola lässt die Tänzer an Seilen hängen, ganz hinten und hoch in der Luft krachen zwei heftig aneinander, verschmelzen später für Momente zu einem Körper. Vorne links scheint sich ein anderes Paar förmlich zu zerfleddern. Ganz außen auf der linken Seite und ohne die Möglichkeit zur Nähe mit den anderen, hängt ein Mann kopfüber am Seil, nur Zentimeter vom Boden entfernt. Sein Zustand ist die komprimierte Aussage des Stücks, denn natürlich ist erklärt STAND BY (MY) genau das: ein Stück über die Unmöglichkeit, dauerhaft zum anderen zu kommen. Immer wieder findet Giovanola expressive, auch explosive Momente. Sie werden von Licht und Musik in dekorativen Kitsch getaucht. So bleiben die Wucht der Tänzer und die Aussage des Stücks voneinander isoliert. Beide hängen am eigenen Seil und pendeln am jeweils anderen haarscharf vorbei." (Basil Nikitakis, Kölner Stadtanzeiger, 6.05.2002)