WAIT TO BE SEATED
ZUM STÜCK
// Uraufführung am 19. Juni 2004
Wiederaufnahme in neuer Fassung: Oktober 2004
// in Koproduktion mit dem Theater im Ballsaal
// Gefördert durch: Kunststiftung NRW, dem Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NRW / Bundesstadt Bonn / NRW Landesbüro Freie Kultur / FondsDarstellende Künste e.V. aus den Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien / Le Conseil de la Culture Etat du Valais.
"Ein Akt der Gastfreundschaft kann nur poetisch sein."
(Jacques Derrida)
So verbreitet man seit je von ihm spricht, so verschieden die Weisen mit ihm umzugehen, so erstaunlich, dass er es nie zum Hauptdarsteller gebracht hat: der Gast. Verbirgt er denn etwa ein Geheimnis, das noch keiner befragte?
Es klingt schon ein wenig angestaubt und aus der Mode: Das Wort "Gastfreundschaft". Dabei spielt das Gastrecht für die Menschen seit Urzeiten eine große Rolle und bildete einen Überlebenskonsens für den Umgang mit dem Fremden. Schon die Bibel forderte das offene Haus inklusive Bewirtung für den Fremden, denn: "Schon manch einer hat auf diese Weise einen Engel beherbergt", so heißt es im Buch der Bücher. Doch in der Neuzeit ist eher vom Verfall, von den tief reichenden Verstößen gegen dieses Heilige Gesetz zu sprechen. Mit der Grenzziehung durch die sich entwickelnden Nationalstaaten gerät der Gast gar als Fremder unter systematischen polizeilichen Verdacht. Das Fremdenrecht löst das Gastrecht ab. Und der vertriebene, ausgegrenzte Gast kehrt als unheimlicher Fremder zurück.
Und ausgerechnet im Zeitalter der Globalisierung, in dem täglich in den Nachrichten über Asyl, Integration und Ausländerrecht diskutiert wird, droht der Begriff der Gastfreundschaft ganz in Vergessenheit zu geraten. Gerade weil die Regeln der Gastfreundschaft zum Schutz der Festung Europa tagtäglich verletzt werden, sowieso jede emphatische Auslegung des Gastrechts nach dem 11. September und dem Missbrauch des Gastrechts durch die "Schläfer" verfehlt scheint, vertritt sie die Sehnsucht nach einem universellen Gesetz. Für das Theater Grund genug, der Gastfreundschaft einen poetischen Raum zu widmen.
VON UND MIT
Mata Sakka, Bärbel Stenzenberger, Joris Camelin, Marcelo Omine, Martin Schurr /// Choreographie: Rafaële Giovanola /// Lichtgestaltung: Marc Brodeur /// Musikauswahl: Volker Wurth* /// Kostüme: Sabine Schnetz /// Choreographische Beratung: Antoinette Laurent /// Konzept und Dramaturgie: Rainald Endraß
* mit Musik von World Standard, Tom Recchion, Luc Ferrari, Heiner Goebbels, Simon Fisher Turner, Benjamin Lew, Huruomi Hosono, Boards of Canada
PRESSESTIMMEN
"Wait to be seated"- Jeder US-Tourist kennt dieses Schild von Restaurantbesuchen. Das Bonner Ensemble CocoonDance hat unter diesem Titel eine aparte Tanz-Produktion erarbeitet, in die auch die Besucher mit einbezogen werden. Grundthema ist die "heilige" Gastfreundschaft in ihren vielen Facetten.Beim Eintritt bekam der Ankömmling feuchte Tücher, um sich vom Reisestaub zu säubern. Wenn er wieder ging, bekam er einen Tee serviert. Logisch aber auch, dass man Gastfreundschaft verletzen kann. In Rafaële Giovanolas Choreographie - auf Frank Chamiers Bühne mit Stellwand. Marc Brodeurs üppigem Lichtdesign und der feinen Klangausstattung von Volker Wurth - sah man divergierende Bilder. Der Witz ihrer Inszenierung aber lag auch darin, dass sie die beiden Eingänge dazu nutzte, um mit Mata Sakka, Bärbel Stenzenberger, Jori Camelin, Marcelo Omine und Martin Schurr immer neue Bilder des Kommens und Gehens zu inszenieren. Wie beim ewigen Gastfreund und Fremdling Odysseus. Das Ensemble zeigte seine guten Tänzerinnen und Tänzer und mit Mata Sakka und Joris Camelin gute Gäste. Auch das Publikum, das denselben Weg geführt wurde, durfte sich mit Tee und anderen Fürsorglichkeiten gastfreundlich aufgenommen fühlen. Viel Beifall." (Heinz-Dieter Terschüren, Bonner Rundschau, 25.06.04)
"Wir leben in einer Zeit der globalen Transformation. Mobilität und Flexibilität gehören zu den zentralen- heute Shanghai und morgen Neu-Delhi. Hinzukommend zwingen globale Konflikte und, wirtschaftliche Asymmetrien viele Menschen, zur Flucht. Gastarbeit und Gastrecht erfordern jedoch auch den aufnehmenden Akt der Gastfreundschaft.
Je mehr in den täglichen Nachrichten über Asyl, Integration und Ausländerrecht diskutiert wird, umso mehr droht der Begriff der Gastfreundschaft zu kippen - ein seltsamer Anachronismus in der Globalisierungsära. Um das zentrale Element der Gastfreundschaft dreht sich die Arbeit der Cocoon-Dance-Formation, deren Tanztheater-' Produktion "Wait to be seated" im Theater im Ballsaal uraufgeführt wurde … Die Choreographin Rafaele Giovanola bringt viele symbolische Bilder ein. Die Tänzer stapeln Stühle aufeinander, vollführen Blumenkettentänze, zwängen sich in eine Hose, in der sie durch den Raum schreiten, oder winden sich apathisch am Boden. In regelmäßigen Abständen kollidieren die Interessen des selbstbewussten Nomaden und des bemüht herrischen Gastgebers und mündet in einen offenen Schluss.
Der Dramaturg Rainald Endraß wollte einen poetischen Raum rund um das Thema Gastfreundschaft schaffen. Die gut recherchierten Inhalte setzte er aus zeitgenössischen Politdebatten und den Ansichten des Philosophen Jacques Derrida zusammen. ... das kreative Tanzstück erzählt viele Geschichten und lässt gastfreundlichen Raum für andere poetische Ansichten." (Ulas Atay, General-Anzeiger, Bonn, 22.06.04)
"Eine bizarre Gesellschaft ist zu Beginn des Stückes also auf der Bühne eingetrudelt. Für die Zuschauer ist diese Runde so komisch wie eine Clowns-Einlage im Zirkus. Doch für den Akteur in Gastgeberrolle, Martin Schurr, erfordert sie ein Höchstmaß an Toleranz. Und das ist wohl das eigentliche Thema des Abends. Wie viel Fremdheit ertragen wir, wie sollen die individuellen Wesenszüge und Gewohnheiten der Menschen jemals harmonisch zueinander finden und ab wann darf man diesem Anderen Grenzen setzen? … Tanz ist in "WAIT TO BE SEATED" vor allem brachiales Körpertheater. Ein Bewegungsfluss entwickelt sich daraus bedauerlich selten. … Dafür lebt das Stück von fünf sehr eigenwilligen Tänzergestalten, von denen man sich gern eine Lektion in Sachen Toleranz erteilen lässt." (Manuskript von Nicole Strecker, gesendet in WDR 3 - Mosaik)
// ZUR WIEDERAUFNAHME IN NEUER FASSUNG
"Die Truppe unter Rafaële Giovanola und Rainald Endraß hat "WAIT TO BE SEATED" noch einmal überarbeitet. Sie haben einiges deutlicher und kompakter gemacht, haben den DJ aus der Szene und aus dem Stück entfernt, haben musikalisch Nummern ausgewechselt und andere Übergänge geschnitten, haben Szenen klarer herausgearbeitet. … Man hatte aber auch Gelegenheit, in teilweise auch leicht veränderten Rollenbildern erneut die außerordentlichen Möglichkeiten zu bewundern, die von den Tänzerinnen und Tänzer in das Stück neu investiert wurden. Ausdrucksvermögen, Virtuosität, das das Erzählen von kaum Erzählbarem, die Reproduktion von wiederkehrenden Bilder und Obsessionen zogen den Zuschauer in ihren Bann."(Heinz-Dieter Terschüren, Bonner Rundschau, 25.10.04)